Straßentrasse


Katalogtext (Astrid Schlupp-Melchinger)


Weißklee wächst auf jeder Wiese. Lenkt man ihn mit einer bestimmten Absicht in eine bestimmte Form, entsteht, wie in der Talaue, Kunst. Uwe Büchler, der dieses Projekt entwarf, setzt hier zum ersten Mal Naturmaterialien ein. Bisher arbeitete er mit plastischen Objekten, die, eingebettet in Rahmenstrukturen, sich sowohl am Boden als auch an der Wand entfalten können und teilweise serielle Strukturen aufweisen. Die Motive dieser, von Uwe Büchler als Wandsituationen bezeichneten Werke, bewegen sich in einem extremen zeitlichen Spannungsfeld. Dort werden fiktive archaische Formen nach dem Prinzip der Spurensicherung mit verfremdeten Computergraphiken kombiniert. Die darin vorgefundene Reliefstruktur und zeitliche Dimension lassen sich auch in dem Projekt "Straßentrasse" wiederfinden. Trotzdem war es für Uwe Büchler Experiment und Herausforderung, hier, unter völlig anderen Bedingungen, aber situationsbezogen zu arbeiten.


Die Idee, eine Straßentrasse aus Weißklee durch dieses Gebiet zu ziehen, ergab sich fast von selbst, da die Umgebung der Talaue dies geradezu herausfordert. Als städtischer Erholungsbereich ist die Talaue auf jeder Seite regelrecht von Straßen eingeschnürt. Trotzdem erscheint dieses Stück Landschaft wie eine Idylle, der weder Verkehrslärm noch die vorbeifahrenden Autos etwas anhaben können. Die neue Trasse bedient sich nun einer Wiesenblume und ihrer der Straßenmarkierung ähnliche Farbe, um quer durch die Talaue einen radikalen Schnitt anzubringen. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Dimension der Trasse, die sich in ihren Maßen an der Wirklichkeit orientiert. Dieser Eindruck wird von den seitlich eingeschlagenen, farbig markierten Pflöcken verstärkt, wie sie beim Straßenbau verwendet werden. Besitzergreifend steckt der Klee den Raum ab, der durch die ungewohnte Ausdehnung einer bekannten Form anders begreifbar wird. Obwohl die Trasse auf jeder Seite ein Ende hat, erscheint sie in ihrer Längenerstreckung unendlich weitergeführt und erweckt sogar den Eindruck, sich durch die Bäume hindurch mit der Umgehungsstraße zu verbinden. Befindet man sich jedoch an den jeweiligen Endpunkten, wird die Absurdität dieser Trasse sichtbar, der ihr Lebenselixier, eine Anbindung an weitere Verkehrswege fehlt, gleichzeitig aber auch für zeitgenössische Verkehrsmittel völlig unbenutzbar wäre. Sie repräsentiert verfremdete Realität, Realität, die so selbstverständlich wie beängstigend ist.


Die Straße ist ein Sinnbild unserer Zivilisation. Wir benutzen sie täglich in den vielfältigsten Formen. Sie erschließt uns die Welt bis in den hintersten Winkel, wenn sie denn bis dorthin führt. Eine geeignete Infrastruktur ist notwendig, um unserer Industriegesellschaft das Leben und Arbeiten zu ermöglichen. Wir sind vollkommen abhängig von diesen geteerten oder betonierten Wegen. Straßen werden genutzt, um ins Grüne zu fahren und der als unnatürlich empfundenen, zubetonierten Alltagswelt zu entfliehen. Aber wir brauchen wieder Beton, in der Hoffnung uns wenigstens zeitweise aus ihr befreien zu kwnnen. Der Traum vieler ist das Wohnen im Grünen, doch auch dieser Wunsch, so verständlich er sein mag, trägt seinen Teil zur Zersiedelung, zur rücksichtslosen Überwältigung der Natur bei. Neben der Gewohnheit im Umgang mit der Straße erscheint gleichzeitig die Angst vor den Konsequenzen und das Gefühl, sich wieder der Natur zu besinnen, sie zu schützen, im Einklang mit ihr zu leben. In diesem Denken bewegt sich ein Konzept wie das Biotop in der Talaue, wo, wie an vielen anderen Stellen auch, versucht wird ein Stück vermeintlich ursprünglicher, unverfälschter Natur zurückzuholen. Auch die Bestimmung der Talaue als Erholungsgebiet für die Bürger der Stadt soll einen Ausgleich schaffen für eine viel größere Naturumgebung, die längst zerstört ist. Die Talaue stellt damit ein ausgewiesenes Reservat dar, in dem das, was man für Natur hält, gehegt und gepflegt wird.


Natur in der Stadt ist heute grün, erholsam und pflegeintensiv. Die Natur zu renaturieren, zeigt eine immer noch technisch geprägte Denkweise, die davon ausgeht, Natur beherrschen und ihre Entwicklung steuern zu kwnnen. Die Zweifel an Fortschrittsdenken und Beherrschbarkeit der Natur sind andererseits nicht zu übersehen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach dem Naturbegriff einer Zeit und einer Gesellschaft. Dieser ist niemals absolut. Er ist das, was mit ihm verbunden wird: Ansprüche, Sehnsüchte, Ziele, Hoffnungen. Der Mensch schafft sich die Natur, wie sie seiner Meinung nach sein müßte. Zum einen ist die aufklärerisch bestimmte Vorstellung von idealer Natürlichkeit, die positiven Einfluß auf den Menschen ausüben soll, immer noch wirksam. Dieser Gedanke ist in der Funktion der Talaue als Freizeit- und Erholungsgebiet lebendig. Weiterhin speist sich unser Naturbegriff noch zu großen Teilen aus der im 17. Jahrhundert auf die Spitze getriebenen Vorstellung, die Natur dem Willen des Menschen unterzuordnen und beherrschen zu kwnnen. Den sinnfälligsten Ausdruck dieser Idee verkörpert der bis in den letzten Winkel getrimmte Barockgarten.


Den Gedanken, Natur als Verfügungsraum zu betrachten, nimmt das Projekt "Straßentrasse" in verfremdender Absicht wieder auf. Es rezipiert ein gängiges Motiv der Infrastruktur und läßt dieses mit natürlichen Mitteln entstehen. Der Klee kann sich aber nur dort entfalten, wo ihm sein Platz in der Gesamtanlage zugewiesen wurde. Den Trassenverlauf und sein vorgegebenes Aussehen zu erhalten, wäre dann allerdings nur wieder durch konsequentes Zurechtstutzen seitens des Menschen möglich. Die Beherrschung des natürlichen Auswachsens wird hier bewußt vermieden. Stattdessen kann der Klee seinen eigenen Weg gehen, indem er sich selbst aussät, verwildert, eingeht oder von anderen Pflanzen verdrängt wird. Die Natur wird sich mit der Zeit ihre Bahn brechen und die ursprüng liche, von Menschenhand geschaffene Form zusehends verwischen. Die zeitliche Dimension, die der Straßentrasse innewohnt, wird von Büchler eingesetzt, um weitere Perspektiven zu eröffnen. Das Kunstwerk bleibt nicht statisch, sondern kann sich verändern, weil kein korrigierender Einfluß seitens des Künstlers ausgenbt wird. Somit wird auch keine endgnltige Aussage oder ein neuer Naturbegriff angestrebt, sondern bisherige Interpretationen in Frage gestellt. Die Entstehung des Kunstwerks, sein kurzfristig bestimmtes Erscheinungsbild wie auch seine Veränderungen im Rhythmus der Jahreszeiten, können vom Besucher der Talaue direkt nachvollzogen werden. So bietet sich die Straßentrasse als dreidimensional erlebbarer Raum für unterschiedliche Erfahrungen an. Die Verselbständigung der Trasse, ihre Verflüchtigung zeigt an, daß die Natur letztendlich nicht zu steuern ist. Sie überwindet das vom Menschen Geschaffene. Im Motiv der Straßentrasse entsteht ein Symbol seines Wirkens, das den Glauben an die Dauerhaftigkeit der durch den Menschen entstandenen Objekte anspricht und hinterfragt.


Dieser Prozeßcharakter nimmt direkten Bezug auf das gestellte Motto: Kunst macht Natur - Natur macht Kunst. Das vom Künstler angelegte Kunstwerk macht ein Stück Natur, indem es sich ihrer bedient und mit diesen Mitteln Naturbegriffe an sich in Frage stellt. Umgekehrt wird aus einem Teil der vorhandenen Natur durch die dahinterstehende Idee Kunst. Auch wenn sich die Straßentrasse allmählich dem optischen Blickfeld entzieht, indem sich die erzwungene Form verselbständigt, bedeutet dies keineswegs ihr Verschwinden. Ihre Auflösung durch Ausufern und Eroberung des Talaue-Terrains wird den vorläufig letzten Akt im Prozeßablauf des Kunstwerks darstellen. Selbst nach diesem Zeitpunkt ist es jedem Betrachter, der die Wirkung der Straßentrasse in ihren ursprünglichen Zustand erlebt hat, möglich, sie virtuell vor dem eigenen Auge erstehen zu lassen. Doch auch dieser Eindruck wird sich schwieriger gestalten, mehr und mehr verblassen, je länger das Projekt im zeitlichen Abstand erscheint.


Die Straßentrasse, die im weitesten Sinne der Land-Art zuzurechnen ist, bedient sich des natürlichen Landschaftsraums als künstlerisches Gestaltungsmittel. Ohne erkennbar individuelle Handschrift strebt sie, wie diese, ebenfalls keine Ewigkeitswerte an. Dazu trägt ihr dynamischer Charakter bei, der sich an biologischen Prozessen von Entstehung, Wachstum und Veränderung orientiert. Hier sollte kein dezidiert angelegter Protestakt gegen die angebliche Künstlichkeit der Großstadtwelt geschaffen werden, wie es die Land-Art anstrebte, indem schweigende, beinahe religiös angehauchte Räume geschaffen wurden, die sich fernab menschlicher Ansiedlungen befinden.


Die Straßentrasse Uwe Büchlers will andeuten, nicht festlegen, in gewissem Sinne auch provozieren und damit einen gedanklichen Prozeß in Gang setzen, innerhalb dessen dieses Projekt als ein Mosaikstein erscheint, der seinen Teil zur Entwicklung eines neuen Bildes beitragen kann.


Astrid Schlupp-Melchinger


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